Dieser Satz wurde neulich einmal in einer Predigt gesagt und lässt mich seitdem nicht mehr los. Ich bin als Jüngste in einer Familie mit 6 Personen aufgewachsen. Mein Vater meinte immer: „Ich habe drei Töchter und jede hat einen Bruder“. Viele Menschen dachten dann daran, dass wir 6 Kinder sind, aber wir hatten alle den gleichen Bruder. Als Jüngste kam ich als Letzte in die Familie, die schon ihre Dynamik besaß. Meine Eltern haben (wie übrigens fast alle Eltern) sich so viel Mühe mit uns gegeben, wie es ihnen möglich war. Weil wir vier Kinder über einen Zeitraum von 12 Jahren verteilt auf die Welt kamen, gab es immer wieder neue Situationen, die eine gewisse Schnelligkeit erforderten. Für uns waren bestimmte Zeiten festgeschrieben und es gab keine Entschuldigung für ein zu spät kommen. Daher war es oft hektisch, besonders, wenn es um die Mahlzeiten ging. Meinen Eltern war Pünktlichkeit ein hoher Wert und wenn es um 18Uhr Abendessen geben sollte, dann erwarteten sie auch, dass wir alle um diese Zeit am Tisch saßen, unabhängig von den Dingen, die uns sonst beschäftigten. Zu spät zu kommen, vermieden wir Kinder daher so gut es ging.
Wenn ich so darüber nachdenke, waren es auch andere Situationen, die Schnelligkeit erforderten. Zur Schule zu kommen, wieder zurückzukommen, nicht trödeln auf dem Nachhauseweg und Termine immer gut einhalten. Eine wirklich gute Eigenschaft, wenn sie für sich allein genommen wird. Doch wenn Schnelligkeit eine Lebenseinstellung wird, dann prägt sie das gesamte Handeln. Es wird sogar letztendlich gewertet: Schnell ist gut, langsam ist schlecht. Je schneller, je besser. Dem Ziel der Pünktlichkeit wurde alles untergeordnet. Da ich als Jüngste merkte, dass ich damit meiner Mutter eine Freude mache, wenn ich pünktlich bin, bekam ich sozusagen mit der Muttermilch die Schnelligkeit mit auf meinen Lebensweg. Das hat zur Folge, dass ich schnell wurde. In allem. Auch in Entscheidungen. Lieber schnell entscheiden, als lange überlegen.
Die Bibel, die mein Lebensbegleiter wurde, spricht eine ganz andere Sprache. In der Bibel haben wir viele Vorbilder, die langsam und nachdenklich unterwegs waren. Das Wort Stress kommt in der Bibel gar nicht vor.
Das besondere Beispiel für mich ist dabei Jesus selbst. ER wird immer und immer wieder von Situationen „unterbrochen“ und lässt sich darauf ein. ER will ein kleines Mädchen heilen und unterwegs kommt eine Frau und berührt nur seinen Mantel und ER bleibt stehen. (Matthias.9, 18ff)
ER ist auf dem Weg durch ein Dorf und ein Blinder bittet um Hilfe, wieder bleibt ER stehen und kümmert sich (während die Menschen drumherum dem Blinden mitteilen, dass der Meister keine Zeit hat). (Markus 10,46ff.)
Eltern bringen ihre Kinder zu Jesus, die Jünger weisen sie ab, doch Jesus nimmt sich die Zeit für die Kinder. (Matthias. 19,14)
Immer und immer wieder lässt ER sich unterbrechen.
ER lässt sich darauf ein, Menschen zu begegnen. ER lässt sich unterbrechen und widmet sich den Nöten anderer. Damit wird genau das Gegenteil von meinem Handeln beschrieben. Wenn ich unterwegs zu einem Termin bin, dann will ich (ich habe es oben beschrieben) pünktlich sein. Wenn unterwegs dann eine Unterbrechung kommt, dann werde ich ungehalten, weil mein Plan durchkreuzt wird. Selbst wenn ich keinen Termin habe, stelle ich oft fest, dass ich schneller gehe oder fahre als Menschen um mich herum. Ich nehme mir einfach keine Zeit.
„Umso mehr wir unser Leben verlangsamen, umso mehr sehen wir.“
Doch ich lerne – ich lerne, welche gute Eigenschaften daraus entstehen, wenn ich langsamer werde. Ich gehe überlegter an verschiedene Dinge heran und sehe auch die anderen Menschen, mit denen ich zu tun habe. Ich höre länger zu und stelle mich auf Gespräche ein. Ohne gleich mit meiner Sicht der Dinge herauszuplatzen, merke ich beim Zuhören, welche Dinge mein Gegenüber beschäftigen. Und dann erkenne ich, dass der Satz „….umso mehr sehen wir“ stimmt.
In unserer sowieso schon sehr hektischen Zeit mit den vielen Informationen und Geschehnissen, ist es sehr wichtig, dass wir einander wieder wirklich zuhören lernen. Dafür brauchen wir Ruhe und Zeit, genau die beiden Eigenschaften, die in unserer modernen Gesellschaft knapp sind. Wir werden langsamer und sehen wieder mehr. Und dann erkennen wir, wie viel Not andere haben. Diese Eigenschaft von Jesus will ich lernen und an mir fördern. Ich hoffe, dass wir alle lernen, die Nöte unserer Mitmenschen wahr zu nehmen. Ich will lernen, dass Unterbrechungen in meinem Leben immer auch eine Chance sind, neues Handeln zu üben.
Wie geht es denn dir damit? Kennst du den Stress mit der Schnelligkeit oder bist du schon langsam unterwegs und siehst mehr? Ich wünsche dir Ruhe und Gelassenheit beim Lernen von Unterbrechungen.
Liebe Grüße
Astrid